- Medizinnobelpreis 1919: Jules Bordet
- Medizinnobelpreis 1919: Jules BordetDer belgische Immunologe erhielt den Nobelpreis für seine Arbeiten über das Immunsystem.Jules Jean Baptiste Bordet, * Soignies (Belgien) 13. 6. 1870, ✝ Brüssel 6. 4. 1961; 1901 Direktor des Pasteur-Instituts in Brüssel, 1907 Leiter der Bakteriologie der medizinischen Fakultät der Freien Universität Brüssel, ab 1916 Mitglied der Königlichen Gesellschaft für Medizin; legte die Grundlagen für das Verständnis der humoralen Immunantwort und begründete die Lehre vom Blutserum (Serologie).Würdigung der preisgekrönten LeistungDer Nobelpreis für Medizin oder Physiologie 1919 wurde wegen der Wirren, die so kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Europa immer noch in Atem hielten, erst zusammen mit den Nobelpreisen für das nächste Jahr 1920 verliehen.Die Welt nahm kaum Notiz von der Ehrung. Dies lag zum einen daran, dass um 1920, also zwei Jahre nach Beendigung des Kriegs, die Menschen noch immer zu sehr mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen beschäftigt waren, um sich für naturwissenschaftliche Fragen zu interessieren, und zum anderen daran, dass der Nobelpreis zu jener Zeit keineswegs das Prestige genoss, das heute mit ihm verbunden ist.Schon früh während seines Studiums der Medizin fiel der Lehrersohn Jules Bordet durch außerordentliche Leistungen auf und bekundete ein starkes Interesse an medizinischer Forschungstätigkeit. Als er 1892 an der Brüsseler Universität promovierte, erschien bereits seine erste Veröffentlichung in den »Annales de l'Institut Pasteur«.Früher Ruhm in ParisMit einem Stipendium der belgischen Regierung begab er sich 1894 an das Pariser Pasteur-Institut, wo er in der folgenden Zeit im Labor von Elie Metchnikoff (Nobelpreis 1908) seine wichtigsten Entdeckungen auf dem Gebiet der humoralen (die Körperflüssigkeiten betreffenden) Immunantwort gegen Bakterien sowie zu diagnostischen Tests des Blutserums machte. Sein Eifer bei der Bearbeitung immunologischer Fragestellungen und seine freundliche Persönlichkeit hinterließen während dieser Zeit einen tiefen Eindruck bei seinen Kollegen. Seine Veröffentlichungen machten ihn bereits im Alter von dreißig Jahren in der wissenschaftlichen Welt und darüber hinaus berühmt.Bordet beschäftigte sich in Metchnikoffs Labor vor allem mit der Frage, wie Bakterien in der Blutbahn vom Immunsystem abgetötet werden können. Bereits 1893 beschrieb Hans Büchner, dass frisches Serum (also Blut ohne seine korpuskulären Bestandteile) in der Lage ist, bestimmte Bakterien abzutöten, diese Fähigkeit aber verliert, wenn es kurze Zeit auf 56 °C erhitzt wird. Wenig später zeigte Richard Pfeiffer, dass Serum aus Meerschweinchen, die zuvor mit dem inaktivierten Choleraerreger (Vibrio cholerae) immunisiert worden waren, diesen wirksam abzutöten imstande ist. Diese Wirkung war nur gegenüber Vibrio cholerae zu beobachten, das Serum war also für diesen Erreger spezifisch. Aus diesen Ergebnissen und aus denen seiner eigenen Arbeiten schloss Bordet, dass die erfolgreiche Bakteriolyse von zwei Faktoren abhängig ist: von einem spezifischen Antikörper, der im Serum immunisierter Individuen vorhanden ist, und von einem unspezifischen, hitzelabilen Faktor, der sich in jedem Serum befindet und später Komplement genannt wurde.Wenig später konnte Bordet den Erreger des Keuchhustens aus dem Sputum seiner kranken Tochter isolieren. Ihm gelang es, das Bakterium, später »Bordetella pertussis« genannt, in einem speziellen Medium anzuzüchten, und konnte zeigen, dass im Serum seiner Tochter spezifische Antikörper gegen Bordetella pertussis vorhanden waren. Darüber hinaus gelang ihm der Nachweis, dass ein von dem Bakterium produziertes Endotoxin für die Symptome des Keuchhustens verantwortlich ist. Zusammen mit seinem Schwager Octave Gengou entwickelte er bald darauf einen Impfstoff gegen Keuchhusten.1898 beobachtete Bordet zum ersten Mal, dass Antiserum von Kaninchen in der Lage ist, rote Blutkörperchen (Erythrozyten) von Schafen zu zerstören (Hämolyse). Bordet erkannte, dass diese Wirkung von Serum auf Zellen einer anderen Spezies denselben Mechanismen eines Zusammenspiels zwischen Antikörpern und Komplement unterlag, wie es bei bakterizid wirkenden Seren zu beobachten war. Darauf basierend entwickelte Bordet eine Methode zur quantitativen Bestimmung von Antiseren mit Schafserythrozyten.Forschungen am Pasteur-Institut in BrüsselAls Bordet 1901 Direktor des neu geründeten Pasteur-Instituts in Brüssel wurde, setzte er dort seine Studien zur Immunabwehr fort. Er konnte sicher nachweisen, dass ein spezifischer Antikörper erst nach Bindung an das entsprechende Antigen (Bakterien, Erythrozyten einer anderen Spezies) eine Aktivierung des Komplements auslösen kann, die zur Lyse der Bakterien beziehungsweise der Erythrozyten führt. Diese so genannte Komplementbindungsreaktion wurde später von Bordet und Octave Gengou zur Entwicklung serologischer Tests für die Diagnose von Typhus, Cholera und anderer Infektionskrankheiten verwendet.Mit seinen Studien zur Komplementaktivierung nach Antikörperbindung konnte Bordet Paul Ehrlichs (Nobelpreis 1908) Hypothese widerlegen, dass Antigen und Antikörper direkt proportional miteinander interagieren. Bordet beschrieb die serologische Reaktion als in zwei Phasen ablaufend: zunächst die spezifische Bindung des Antikörpers an das Antigen und dann die Aggregation zu größeren Antigen-Antikörper-Komplexen, die nachfolgend das Komplement aktivieren. Er konnte zeigen, dass die Gegenwart bestimmter Ionen für die Ausbildung dieser Immunkomplexe notwendig ist. Bordet interessierte sich in diesem Zusammenhang auch für die Blutgerinnung und konnte zusammen mit einer Reihe von Kollegen zeigen, dass Kalziumionen für die Gerinnung notwendig sind und dass Komplexbildner wie Oxalate, die Kalzium aus dem Blut entfernen, die Gerinnung verhindern und so Blut über einen langen Zeitraum lagerfähig machen.Wissenschaftler und LehrerNeben der wissenschaftlichen Tätigkeit, in der ihm in späteren Jahren sein Sohn half, war Bordet sehr darum bemüht, Studenten in Mikrobiologie und Immunologie auszubilden. Er schrieb viele Lehrtexte und hielt Vorlesungen in Brüssel und Paris. 1924 forderte Bordet zusammen mit vielen anderen Wissenschaftlern in einem Bericht an den Völkerbund dazu auf, Giftgas international zu ächten, in den 1950er-Jahren unterstützte er die Petition von Linus Pauling für einen Stopp von Atombombentests.Bordets Entdeckungen auf den Gebieten der Immunologie und der Serodiagnostik haben zu einem besseren Verständnis immunologischer Zusammenhänge und zu verbesserten diagnostischen Möglichkeiten im Kampf gegen Infektionskrankheiten geführt. Besonders seine wissenschaftlichen Leistungen, für die er mit dem Nobelpreis geehrt wurde, führten zu Erkenntnissen, die heute als allgemein anerkannte Grundlagen bei der Diagnostik, Therapie und Erforschung von Infektionskrankheiten dienen.T. Ulrichs
Universal-Lexikon. 2012.